Die Freiheit der Gedanken
Es war mir geradezu ein Bedürfnis, zumindest einen Bruchteil der Gedanken die mir durch den Kopf gehen, zum heutigen Tag einmal zu ordnen und ein Teil davon zu Papier zu bringen.
Das Johannisfest ist das schönste und höchste Fest der Freimaurerei auf der ganzen Welt. Es symbolisiert den längsten Tag des Jahres, den Wechsel und die Umkehr. An diesem Tag wir unserem
Schutzpatron Johannes dem Täufer. Manchmal sind es die aufflackern und wieder verlöschen, manchmal aber sind es auch Sinnfragen, die uns nicht so schnell aus dem Kopf gehen und uns zwingen, sich
tiefer mit der gestellten Frage auseinander zu setzen.
Meist geht mir in diesem Moment durch den Kopf, wie und mit welcher Einstellung ich mich dieser Frage nähere. Mache ich mir darüber Gedanken, wie ich an entsprechende Informationen kommen um mir den
Sachverhalt etwas klarer auszumalen? Suche ich ein Gespräch mit einem Sachkundigen um mir sein Wissen einmal anzuhören? Oder mache ich mir selbst Gedanken, frei von einem bereits verfügbaren
Vorwissen und mache mir erst einmal selbst ein Bild, ein soweit möglich vorurteilfreies, welches ich dann in Folge mit anderen Bildern vergleichen kann.
Dann denke ich auch daran, wie ich mich in einem Dialog mit Anderen der Thematik nähern kann. Wie wähle ich meine Dialogpartner? Suche ich den direkten Weg oder den Umweg? In dem Moment stelle ich
aber fest, dass ich mich bereits von meiner eigenen Fragestellung entfernt habe. Eigentlich wollte ich mir doch nur die Frage beantworten, ob Johannes der Täufer ein Freidenker mit Gedanken ohne
Grenzen war, oder ob er eher ein „In Grenzen“ denkender Feier Mann war. Wie lassen sich sein Wirken und der damit verbundene Erfolg beschreiben?
Als Schutzpatron der Steinmetzen, d.h. der operativen Maurer kann man ihn durchaus als Handwerker verstehen. Also eher als ein Mann der Tat, als des Wortes. In unserem Ritual wird er als „der
Wegbereiter eines großen Meisters der Menschheit bezeichnet“. Also als ein Mensch mit Geist, mit einer festen Zielvorstellung und mit einem konkreten Verständnis was zu tun ist, für ihn persönlich,
aber auch für die Menschen die er im Fokus hatte. Die Geschichte lehrt uns, dass solche Menschen aber eher ein Mann des Wortes sind. Wir wissen auch, dass die Kombination von Wort und Tat besonders
erfolgreiche Menschen auszeichnet. Was also hat Johannes so markantes vollbracht, dass wir uns heute noch an ihn erinnern?
Er hatte den Mut, die Menschen in seinem Wirkungskreis zur „Umkehr“, d.h. zum Einhalten derAnforderungen der damaligen Wertvorstellung (Tora) und zu einer entsprechenden Lebenspraxis aufgerufen. Er
forderte die Abkehr von dem von ihm stark kritisierten damaligen Lebenswandel des Volkes an. Er nahm sich die Freiheit, seine eigenen Gedanken in einer gebündelten Form diesen Menschen mitzuteilen,
ja nicht nur diese mitzuteilen, sondern sie ihnen einzuimpfen, mit seiner ganzen Kraft, mit Nachdruck, mit Überzeugung und unermüdlichem Einsatz.
Gerechtigkeit und Brüderlichkeit aller Menschen standen für ihn an erster Stelle, an ihnen sollte der Sinn des Lebens und der Lebenswandel ausgerichtet sein. Das waren seine Kerngedanken. Wir sehen,
dass sich alle seine Gedanken um dieses spezielle Anliegen drehten, also eine klare Grenze hatten. Anstatt seine Gedanken in allen Freiheitsgraden zu entwickeln, beschränkte er sich auf einen
wesentlichen Aspekt, auf seine Werte, oder auch mit anderen Worten, auf die Werte der Gemeinschaft, der er sich zurechnete.
Unserem Ritual zufolge ist uns Johannes der Täufer ein Vorbild für Stärke. Ich denke mir, dass diese Stärke auch notwendig war damit er seinen persönlichen Auftrag erfüllen konnte. Sein Geist
überschritt die damaligen Grenzen in doppelter Hinsicht. Einerseits führten sie Johannes aus seiner begrenzten Gedankenwelt hinaus zu den in grenzenloser Freiheit lebenden Menschen, zum anderen hatte
sein Geist den Anspruch, die in Freiheit lebenden Menschen zurückzuführen in die Grenzen des ethisch vertretbaren. Das ist auch heute noch vergleichbar mit einem Spagat.
In seiner Bergpredigt verfolgte Jesus das gleiche Ziel wie Johannes der Täufer. Er hat ebenfalls das Reich Gottes angekündigt und in den Seligpreisungen die ethischen Grundlagen formuliert, die sich
auch in den freimaurerischen Werten wiederfinden.
Die Freiheit der Gedanken ist grenzenlos, alles kann erdacht werden, publiziert werden, angeprangert werdet, über den grüner Klee gelobt werden. Wirklich alle Gedanken? Zu allen Themen? Ohne
irgendeine Bindung an irgendetwas, etwas was mir Halt gibt, was uns Halt gibt, wenn wir von uns behaupten, dass wir eine Gemeinschaft darstellen und uns als solche fühlen. Eine Gemeinschaft die aber
nur existiert, wenn sich die Brr. dieser Gemeinschaft einem gemeinsamen Ritual unterwerfen und sobald dieses zu Ende ist, jeder dieser Brr. in der ihm zustehenden Anonymität, auch Deckung genannt,
verschwindet.
Wie soll der Auftrag erfüllt werden, indem wir aufgefordert werden in die Welt hinaus zu gehen und uns als Freimaurer zu bewähren? Jeder Br., als Mensch und als denkendes Wesen, wird anfangs
ebenfalls seinen grenzenlosen Denkanspruch anfordern und seine Gedanken in die Welt hinaustragen wollen. Welchen Beitrag kann ein Br. im Sinne der Nachfolge des Johannes leisten, für sich und für die
Gemeinschaft? Jeder kann seine gesamte Kraft aufbringen und die Schönheit seiner Gedanken verinnerlichen um sie dann wiederum verstärkt und mit Weisheit zu veräußern.
Verinnerlichen im Sinne einer freimaurerischen Grundeinstellung, einer begrenzten nachvollziehbaren und erlebbaren Ethik, verinnerlicht im Sinne ein freier und offener Gedankenaustausch. Freie
Gedanken im Rahmen einer freiwilligen Grenze.
„Wer Großes will, muss sich zusammen raffen; in der Beschränkung zeigt sich erst der Meister und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben (Goethe).“ Diese Art von Freiheit erlaubt es uns privilegiert
zu sein, denn wir überschreiten die Grenzen und sind dabei gefangen in unserem geistigen Ursprung, Freiheit trotz Bindung? Nein, für Freimaurer gilt eher das Gegenteil. Denn Freiheit ist die Frucht
der geistigen Bindung, freie Gedanken auf einer soliden Basis. Freiheit trotz verschiedener Gesellschaften, trotz verschiedener Individuen mit individuellen Vorstellungen sich von etwas, für sie
störendes, zu befreien. Freiheit der Freiheit willen aber ist Unfreiheit. Ein befreiter Freimaurer ist dann vergleichbar einem freien Mann von gutem Ruf, der wie Robinson auf einer einsamen Insel
seine Freiheiten auslebt (Cartoon Urban).
Die Freiheit der Gedanken aller Brr. innerhalb einer Gemeinschaft aber bildet den viel zitierten Sauerteig, sie können sich entfalten, entstammen alle einem umfassenden, übergreifenden,
freimaurerischen Kontext und dienen so einem übergeordneten Ziel, dass sie wieder Eins werden, sie verstärken sich und kompensieren sich auch teilweise. Der einzelne Br. aber, der gefangen ist in
seinen Gedanken, muss als unfrei bezeichnet werden und das führt zu dem Paradoxon, dass nur freie Männer von freiem Ruf zu Freimaurern aufgenommen werden können.
Die Chance zur Veräußerung unserer Wertvorstellung und unserer Gesinnung haben alle wahren Freimaurer, indem jeder einzelne selbst seinen eigenen Lebenswandel, seinen Auftritt in der Öffentlichkeit,
seine Meinungsäußerungen zu Themen des Alltags und der Zukunftsgestaltung mit einbringt, immer mit Respekt vor der anderen Meinung, aber mit der notwendigen Überzeugung und Authentizität.
Jeder Einzelne dessen Gedanken das freimaurerische Wesen verinnerlicht hat, hat gute Voraussetzungen, auch in seinem Wirkungskreis einen Wandel herbeizuführen. Seine Gesinnung und seine Werkzeuge
bilden eine verlässliche Basis um im Sinne einer Vorbildfunktion die Menschen seiner Umgebung nachhaltig zu beeindrucken. Dieser Bruder steht für keine faulen Kompromisse ein und er glaubt an die
Fähigkeit des Menschen, sich selbst und seine Umwelt zu verbessern um die Würde der Vollkommenheit zu verdienen. Missionierung steht nicht auf seinem Panier, auch nicht Rechthaberei! Wir alle
orientieren uns an den Alten Pflichten, jenem Grundgesetz der Freimaurerei, welcher einen Kanon von sittlichen Vorstellungen enthält, vor allem Toleranz (religiöse), Mäßigung und Vorurteilslosigkeit.
Hier wird auch die Loge als der Ort bezeichnet, an dem jegliches Gezänk, jede Streitigkeiten vermieden werden sollen. Es wird von der inneren Haltung des Maurers gesprochen, der seinem eigenen
Gewissen verantwortlich ist und dieses orientiert sich nachseinem Gelöbnis an den freimaurerischen Prinzipien.
Die Faszination die die Freimaurerei damals wie heute auf unkonventionell denkende Menschen ausübt, beruht auf der Tatsache, dass sie sich gegen engstirnige Orthodoxie, unbegründbare Vorurteile und
ständige unvereinbare Gegensätze wendet und die vielgestaltige freimaurerische Symbolik verwendet um gerechtes Handeln, gemeinsames lautes Denken und eine spürbare Ordnung erlebbar zu machen, als
Basis für Gleichheit und Brüderlichkeit. Wir feiern heute das Johannisfest mit dem Wunsch gleichbleibender Weiterentwicklung in einem positiven Geiste, mit einem Geist der über Grenzen hinweg gehen
kann, der es uns erlaubt unbekannte Weiten zu erreichen, ohne unsere Bindung an Werte zu verlieren. Die Freiheit die wir erreichen wollen liegt mehr in der Freiheit ein ungebundeneres Leben zu
genießen und sich den inneren Zwängen zu entledigen. Diese Freiheit braucht aber auch Wurzeln, sonst fliegt sie uns davon (Luise Künzinger).
Die geistige Arbeit unserer Loge hat zum Ziel, diese Wurzeln zu kräftigem und gesundem Wachstum anzuregen. Sie ist gekennzeichnet durch die selbstgestellte Aufgabe, gemeinsam an der Verbesserung der
Vornehmheit unserer Gesinnung und an unserer Vervollkommnung zu arbeiten, jeder an seinem Rauhen Stein. Die gemeinsame Arbeit schärft auch den Blick für die unterschiedlichen Arbeitstechniken und für
die unterschiedlichen Reifegrade der Rauhen Steine. Als Handwerker haben wir auch erkannt, dass lernen nur dann funktioniert, wenn wir uns vertrauensvoll an die Anweisungen der Lehrmeister halten und
mit ihm im Dialog bleiben.
In der Loge zeigt sich der geschützte Bereich, als Raum frei von beruflichen, familiären und gesellschaftlichen Zwängen um ungezwungen denken und sprechen zu können. Wer frei spricht, darf in
gleichem Maße darauf vertrauen, dass seine ehrlichen Äußerungen verschwiegen behandelt werden. An einem solchen Ort, lassen sich eigene Gedanken entwickeln. Selber denken bedeutet vorurteilsfrei
denken lernen und den gedanklichen Austausch mit anderen zu pflegen. Die Freiheit der Gedanken soll uns als hohes Gut dazu dienen, uns im freimaurerischen Sinne mit den Herausforderungen der
Gegenwart zu befassen und so einen pragmatischen Betrag leisten und so zum Wohl nicht nur der Freimaurerei beizutragen
Es geschehe also.